Der Frühling hat etwas Magisches – Leben bricht aus allen Poren der Natur, die kurz zuvor noch völlig tot schien. Temperaturen steigen, Säfte quellen, die Stimmung hebt sich. Zu Zeiten, die noch am Rhythmus des Natürlichen hingen, entstanden daraus viele Bräuche. Der Winter wurde ausgetrieben, böse Geister hat man mit Feuer gebannt, Mondfeste und Tänze unter Bäumen waren der spirituelle Auftakt für den Neubeginn. Die Gepflogenheiten dabei waren heidnisch, wild und in den Augen der allmächtig gewordenen christlichen Kirche voller Sünde und Unzucht. Viele haben sich dennoch erhalten und künden noch heute von der Magie des Frühlingszaubers.
Walburga, deren Namen die Nacht trägt, stand eigentlich als Äbtissin einem Nonnenkloster vor. Sie wurde dann irgendwann heiliggesprochen und verleiht heute dennoch einer der wildesten heidnischen Nächte in ganz Europa ihren Namen. Und das kam so: Walburga oder Walpurgis, die um 710 in England geboren wurde und später das Kloster Heidenheim in der fränkischen Mittelgebirgslandschaft des Hahnenkamms leitete, wurde von Papst Hadrian II. am 1. Mai zur Heiligen erklärt. Das brachte sie in die Gesellschaft der Hexen und wilden Frühlingsgeister. Es ist eigentlich fast tragisch, denn die fromme Frau galt geradezu als Beschützerin vor Zauberpraktiken und sollte Mensch und Vieh vor den Umtrieben der Hexen bewahren. Doch der 1. Mai war bei den in weiten Teilen Europas siedelnden Kelten nun mal als Übergang vom Winter zum Sommer Anlass für wilde Feste und schaurige Blutopfer. Und von diesen Bräuchen hat in der Erinnerung der Menschen vieles selbst die gewaltsame Christianisierung überdauert. Da die Kirche aber darauf bestand, dass die Heiligen mit ihren Namen den Takt des Jahreslaufs angaben, geriet Walpurgis in das heidnische Treiben hinein.
In der Nacht vom 30. April zum 1. Mai wollen die Germanen ihre Göttin Freia beobachtet haben, wie sie mit Wotan den Frühling zeugte. Weil jedoch die Kirche inzwischen das Sagen hatte, musste dieser Tag der Heiligen Walburga gewidmet werden. Bald sprach man von der Walpurgisnacht, und die keusche Äbtissin wurde zur Namenspatronin ausschweifender heidnischer Bräuche. „Walpurgisnacht“ ist heute ein weltbekanntes Synonym für wildes Hexentreiben.
Das Heidnische bricht sich wieder Bahn
Die Herkunft der Rituale ist nicht zuletzt deshalb so verwirrend, weil oft Christliches unnachsichtig auf Heidnisches aufgepfropft wurde, was in späterer Zeit dann wieder durchbrach und frisch ergrünte. So zum Beispiel, als Deutschlands großer Dichter Johann Wolfgang von Goethe vor gut 200 Jahren die Walpurgisnacht in seiner Tragödie des „Faust“ entfesselte. 1808 ist der Titel „Faust“ erstmals im Druck erschienen. Goethe hat darin die teuflische Figur des „Mephisto“ auf die Bühne gebracht. Sie ist aber einer weit älteren Sagengestalt nachempfunden. Mephisto, dieser „Geist der stets verneint“ hat seither Hochkonjunktur als Fiesling, als Verführer, als Entfessler des Chaos.
Wild geht es darin zur Sache in Auerbachs Keller zu Leipzig, wo die trunkenen Studenten dem Laster huldigen. Walpurgisnacht ist angesagt. Schaurig flackern die Feuer, tanzen Hexen und Teufel auf dem nahen Blocksberg im Harz.
Das ist der mystische Name des Brockens, dieser kahlen und weithin sichtbaren höchsten Erhebung in einer Landschaft voller Zauber und Geschichten. „Blocksberg“ heißen auch andere Berge in Mitteleuropa, die mit Hexenzauber in Verbindung stehen. Die Bezeichnung erinnert angeblich an Hexenspiele und Zauberinnen, die man auf dem „Block“ aufführte. Erstmals erwähnt wurde der Name wohl im Jahr 1485 in einem Lübecker Gebetbuch als „Blokkesberghe“.
Die genaue Wortherkunft der Hexenberge ist so undurchsichtig wie das gesamte Hexenwesen. Sagen, Legenden und Phantastereien liegen nahe beieinander. Und jede Zeit hat das Ihre dazugetan, um die Bräuche zu verändern. Im Christentum galten Hexen als das Böse, das die kirchliche Inquisition zu tausenden auf den Scheiterhaufen verbrannte. Heute bezeichnen sich nicht wenige Frauen selbst als „Hagazussa“, wie der alte Name der Hexen lautet und machen einen Kult aus ihrer Lust auf das Geheimnisvolle und Unfassbare.
Von der Hexenverbrennung zur Hexenverehrung
Vor Jahrhunderten brannten überall in Europa die Scheiterhaufen. Heute steckt die Kirche als Verursacher dieser Verbrennungen selbst in ihrer tiefsten Krise. Hexen aber erleben ein Riesen-Comeback. In den letzten Jahren hat sich die Anzahl der Feuer zur Walpurgisnacht verdoppelt, so steht es in vielen Medienberichten zu lesen und auch in diesem Jahr werden mehr Hexenfeuer brennen als je zuvor. - So kann es kommen, wenn man Frauen verbrennt, statt sie zu lieben, weil man sich vor ihrer Schönheit und ihrer Libido fürchtet.
Walpurgisnacht ist längst ein traditionelles europäisches Fest. Allein im Harz Jahr feiern jedes Jahr 100.000 bis 200.000 Menschen diese magische Nacht. In mehr als 30 Gemeinden gibt es dazu am 30. April Veranstaltungen: Hexenfeste, Fackelzüge und große Walpurgisfeuer. In St. Andreasberg zum Beispiel zieht eine „wilde Hexenbrut“ Besen schwingend durch den Ort. Hexenpuppen sind heute als Werbesymbol des Harzes das meistverkaufte Souvenir.
Am Fuß des Brockens in Schierke wird die Multimediaschau der Faust-Saga aufgeführt. In Wolfshagen gehören „Teufelsspiele“ wie Hexenwarzenspucken und Krötenaugenrollen zum Repertoire. Auch als „Tanz in den Mai“ ist das Geschehen vom 30. April auf den 1. Mai in vielen Gegenden fester Bestandteil des Jahreslaufs. Die Anzahl der Fans steigt rapide.
Dass die Kelten dereinst eine wichtige Rolle für die Entstehung des Hexenfests gespielt haben, ist plausibel. Mythologisch findet nämlich die Walpurgisnacht als Mondfest in der Nacht des ersten Vollmondes zwischen der Frühjahrstagundnachtgleiche und der Sommersonnenwende statt und erinnert dabei an das keltische Fruchtbarkeitsfest Beltane. Der 1. Mai ist Überlieferungen zufolge für das Volk der Kelten einer der wichtigsten mythischen Tage im Jahr gewesen sein. Die Kelten feierten den Beginn der Sommerzeit. Für sie gab es damals nur zwei Jahreszeiten: den erstarrten Winter und den lebensfrohen Sommer. Auch in Germanien kannte man derartige Feste. Sie wurden mit Freudenfeuern begangen. Die „Weisen Frauen“, sagten dabei Zukunft voraus. Das waren die „Hagazussen“, die dem Volk in den meist auf herausragenden Bergen angesiedelten „Heiligen Hainen“ als Gestalten zwischen der Menschen- und der Geisterwelt erschienen.
Walpurgisnacht als gigantisches Spektakel
Walpurgisnacht ist Freinacht. Gesetze sind durch altes Brauchtum teilweise außer Kraft gesetzt. Im süddeutschen Raum werden Gartentore ausgehängt und Leiterwagen auf Scheunendächer gesetzt. Solche Freinachtbräuche sind straffrei, solange sie nicht zu heftig ausfallen. Am nächsten Morgen wird der Maibaum aufgestellt, wenn er nicht in der Nacht von Burschen des Nachbardorfes gestohlen wurde. Sollte das der Fall sein, muss er „ausgelöst“ werden. Mit viel Bier. Walpurgisnacht ist vor allem der Nacht der Hexen – doch auch lediger Burschen und höchst seltsamer Bräuche.
Auf dem Hexentanzplatz zu Thale wird "Mephistos Nacht"begangen, als Raum-Laser-Projekt. Das teuflische Treiben ist im 21. Jahrhundert angekommen. Die „Hexentanzplatz Thale GmbH“ verspricht eine „spektakuläre Inszenierung mit Licht- und Tonelementen, Tanz und anmutige Stelzen-Walkacts sowie Feuer- und Pyro-Effekten“. Sie würden „minutiös zu einem Gesamtkunstwerk von atemberaubender Faszination verschmolzen.“ Man erwarte mehr als 10.000 Gäste, die per Kabinenbahn oder mit den knapp 20 Pendelbussen problemlos „zur ultimativen Walpurgisnacht-Feier“ auf den Hexentanzplatz gelangen.
Einst sollen sich stattdessen Hexen zur Walpurgisnacht auf dem Hexentanzplatz versammelt haben, um auf Besen, Mistgabeln, Katzen und anderen magischen Geräten oder Tieren gemeinsam zum Brocken, zum Blocksberg, zu fliegen. Dort sei das eigentliche Hexenfest gestiegen. Auf dem Blocksberg sollen die Hexen in einem großen Kreis mit dem Rücken zueinander um das Feuer herumgehüpft sein und dem Teufel den Hintern geküsst haben. Dann hätten sie sich angeblich mit dem Satan vermählt und seien von ihm mit dem so genannten Hexenmal (meist einem auffallenden Muttermal) gezeichnet worden, was ihnen die Fähigkeit zur Zauberei verliehen habe.
Solche „Überlieferungen“ haben nichts mit keltischen oder germanischen Bräuchen zu tun. Es sollte nicht verwundern, wenn es die Geschichtenerzähler der Inquisition gewesen wären, die ihre Federkiele tief in pechschwarze oder blutrote Tinte getaucht und mit solchen Storys das Papier bekritzelt hätten. Seit den Hexenprozessen des 16. und 17. Jahrhunderts ist diese dunkle, die teuflische Seite ein Element des einst reinen Frühlingsfestes. Und gerade diese Seite entfaltet in der Walpurgisnacht eine besondere Faszination, was dem Klerus nun äußerst unangenehm ist.
Wandel des Brauchtums – neue Spiritualität
In Nordeuropa sind es vor allem die Studenten, die heutzutage der Walpurgisnacht ihren Stempel aufdrücken. In Schweden und Finnland finden in der Walpurgisnacht die größten Studentenfeste des Jahres statt, zum Beispiel in Vappu in Finnland und Valborg in Schweden. Dabei wird ähnlich wie in Deutschland um ein Maifeuer herum gelagert, viel gesungen, gelacht und getrunken. Ist das Feuer etwas heruntergebrannt, findet in einigen Gegenden auch der Maisprung statt, ein Brauchtum bei dem es üblich ist, dass Verliebte gemeinsam über das Maifeuer springen.
Viele Walpurgisriten kommen aus bäuerlichen Maibräuchen. Man „schützte“ seinen Hof durch eine Art magischen Zauber. Dazu gehörten nächtliches Peitschenknallen, ausgelegte Besen und Maibüsche (Birkengrün). Der Maibaum, ursprünglich eine Birke, in Süddeutschland häufig auch eine Fichte oder Tanne, ist ein altes Fruchtbarkeitssymbol. Ursprünglich soll es den Weltenbaum Yggdrasil verkörpert haben, der aber eigentlich eine Esche ist. Am 1. Mai, zu Walpurgis, werden noch heute traditionell die Maibäume aus dem Wald in den Ort geholt, um sie der Liebsten vor das Haus zu stellen. - Und sogar in die Kirchen stellt man in einigen Gegenden frisches Maiengrün in die Altarräume.
Die Bräuche haben sich im Laufe der Zeit gewandelt. Sie haben wie vieles auch längst den reinen Kommerz erreicht. So lädt zum Beispiel Saalfeld/Rudolstadt am 30 April zur „Langen Einkaufsnacht“ ein. Dies bedeutet, dass die teilnehmenden Geschäfte ihre Pforten bis fast Mitternacht geöffnet halten und einige an diesem Abend mit ganz besonderen Attraktionen aufzuwarten versprechen.
An der Nordseeküste hat der „Tanz in den Mai“ eine lange Tradition. Nahezu jedes Seebad an der Nordsee feiert am 30. April Walpurgisnacht. Oft mit keltischen Musikgruppen und besonderen Speisekarten, wie sonst nur an Silvester.
Auf dem Gulfhof Meevenburg bei Marienhafen gelegen, können Urlauber bei der „Ostfriesischen Walpurgisnacht“ sogar ein Spektakel erleben, wie es sonst nur im Harz rund um den Brocken üblich ist: mit Hexen, Teufeln, und mittelalterlich gewandeten Gastgebern. Neben einem Heerlager und rund 20 mittelalterlichen Marktständen finden auch Schaukämpfe, Feuerzauberer und anderer mittelalterlicher Zeitvertreib statt. Es gibt „Hexensuppe“ und „Teufelsbraten“. Da aber so manche in der Runde aus der alternativen Szene kommen, wird auch eine vegetarische Gemüsepfanne angeboten. Dazu dunkles Landbier, Met, Maibowle, heißen Würzwein, alkoholfreien Jungferntrunk oder Apfelpunsch. Natürlich alles nach mittelalterlichen Rezepturen.
Die Hexe Raija im Freilichtmuseum
In Neuhausen ob Eck, Kreis Tuttlingen, gab es vor Jahren eine besondere Attraktion. Hier trat die Hexe Raija im Freilichtmuseum auf, sobald die Walpurgisnacht anbrach. Das Museum befindet sich unweit der einstigen keltischen Fliehburg auf dem Dreifaltigkeitsberg. (Siehe „Eurasische Spiritualität - Von Vulkanschloten und heiligen Bergen - Wanderungen entlang der Europäischen Wasserscheide auf der Schwäbischen Alb“, EM 11-09).
Zentrum der Walpurgisnacht in Deutschland aber ist und bleibt der Harz. Hier reiten gruselige Hexen auf ihren Besen durch die Straßen der Städte und Dörfer. In einer Reportage des Bayerischen Rundfunks findet sich folgende Schilderung: „Ihre Beschwörungsformeln werden begleitet von dumpfen Trommelklängen. Über allem liegt der Duft deftiger Hexensuppe, Krüge mit Krötenwein und Krähenschnaps machen die Runde. Es ist Walpurgisnacht, die Hexen fliegen zum Tanzen auf den Blocksberg und begrüßen den Frühling.“
Am 30. April ist zwischen den Orten Wernigerode, Quedlinburg, Schierke, Sorge und Elend der Teufel los: Die Harzer Schmalspurbahn wird zum Höllenzug, das Felsplateau bei Thale zum Hexentanzplatz.
Den passenden Text dazu lieferte einst der Dichterfürst Goethe mit seinem Chor der Hexen auf dem Brocken: „Die Hexen zu dem Brocken ziehn, die Stoppel ist gelb, die Saat ist grün. Dort sammelt sich der große Hauf, Herr Urian sitzt oben auf. So geht es über Stein und Stock, es farzt die Hexe, es stinkt der Bock.“ (Goethe, Faust I, Walpurgisnacht).
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